VectorStyler
Neugierig, wie ich nunmal bin, habe ich einen Blick auf ein neues Vektorprogramm geworfen.
VectorStyler wird von der finnischen Firma Numeric Path entwickelt. Derzeit befindet es sich in der Beta-Phase und ist nur für den Mac erhältlich. Laut Website soll es ein »erschwingliches aber fortschrittliches« Programm werden. Vermutlich im Preissegment irgendwo zwischen Affinity Designer und Canvas.
Die Beta kann man sich unter https://vectorstyler.com/ einfach herunterladen.
Dieser Bericht bezieht sich auf Version 1.0 Beta 50.
In der Oberfläche des Programm erkennt man ganz klar, dass die Entwickler sich von CorelDraw, Inkscape, Illustrator und sogar InDesign haben anregen lassen. Das geht bis zu einem »geborgten« Icon (das bis zum Ende der Beta-Phase sicher noch ausgewechselt wird).
Abb: Programmoberfläche (obe)und einige Paletenfenster (unten), öffnen per Klick in einem neuen Fenster
VectorStyler kann in einem Dokument mehrere Artboards verwalten und diese mit einem Raster und Rändern anlegen. Artboards lassen sich auch drehen (dies geschieht beim Zoomen und Verschieben des Dokuments mit 2-Finger-Gesten auf dem Trackpad für meinen Geschmack etwas zu schnell unabsichtlich).
Abb: Optionen für Artboards im neuen Dokument
Bei den Werkzeugen und Funktionen findet man natürlich die üblichen Verdächtigen, ohne die kein Vektorprogramm mehr daherkommen darf: Formwerkzeuge mit editierbaren Formen, Zeichenstift, Buntstift, Pinsel, Ebenen, Boolesche Operationen (Pathfinder), Farbfelder, Deckkraft- und Schnitmasken, Zeichenflächen, Symbole, Grafikstile, diverse Textwerkzeuge, Formatierungen, Text auf einem Pfad.
Darüber hinaus gibt es Überblendungen, Muster, Autotrace, Verzerrungshüllen, etliche Verlaufsarten, Verlaufsgitter, Konturenstile, Variable Breitenprofile, pixelbasierte und Vektor-Effekte, die Möglichkeit, mehrere Konturen und Flächen an einem Pfad zu haben, Einstellungsebenen und Aussparungsgruppen.
Man kann EPS, PDF, SVG, Postscript sowie diverse Pixelformate exportieren und importieren, es lässt sich ein ziemlich rudimentäres Farbmanagement einstellen und Sonderfarben verwenden.
Insgesamt also ein sinnvolles Funktionspaket, das eine Kampfansage an Illustrator darstellt – schon sowieso in dem Preissegment. Wenn es die Details nicht gäbe ...
Es gibt unendlich viele Optionen, Menübefehle, Unter-Unter-Menüs in Paletten und natürlich Voreinstellungen. Wer sich jemals geärgert hat, dass man die Farbe der Zeichenflächen-Begrenzung in Illustrator nicht einstellen kann: VectorStyler ist Dein Programm. Man sieht nun leider einen großen Nachteil dieser detaillierten Einstelloptionen: sie erzeugen ein sehr großes Rauschen. Zwischen all den eher unwichtigen Dingen gehen die wichtigen unter. Man muss sich durch sehr viele Dialogboxtexte durchlesen und ggf. durch eine noch größere Menge an Dokumentationen, bevor man dazu kommt, etwas zu gestalten (derzeit existiert diese Dokumentation noch nicht).
Abb: Nur fünf der vielen Voreinstellungs-Dialogboxen
Ganz ähnlich geht es weiter mit dem Dokument-Objektmodell. VectorStyler hat den Canvas, Artboards, Ebenen, Objekte, Symbole, Klone, Referenzen. Das alles taucht in vielen Menüs auf und kann auf unterschiedliche Arten zugewiesen werden. Vor allem die Klone, Referenzen und Symbole besitzen situationsabhängig je ihre Vorteile und daher wurden diese Modelle wohl auch aus CorelDraw, Inkscape und Illustrator zusammengeholt, man muss sich jedoch schon sehr genau damit beschäftigen, bevor man es das erste Mal einsetzt, um die passende Option zu wählen. Der Lernaufwand vor dem ersten Projekt ist also erheblich.
Die Formwerkzeuge bieten neben den ständig benötigten Ellipsen, Rechtecken, Spiralen, Polygonen und Sternen auch Zahnräder (die man erst auf den zweiten Blick erkennt), Wellen- und Zickzackmuster, die ein wenig willkürlich erscheinen und den Eindruck erwecken, dass sie lediglich im Programm sind, weil sie programmtechnisch einfach umzusetzen waren. Davon abgesehen gibt es aber kein offenen Wünsche mehr bei den Einstellmöglichkeiten der Formen.
Abb: Formwerkzeuge und Optionen für Zahnräder(öffnen im neuen Fenster per Klick)
In Ebenen- und Stile-Palette werden Dokumentstruktur und Objekteigenschaften verwaltet, also das Herz einer richtigen Vektorapplikation. Ihre Handhabung ist zumindest in der Beta-Version relativ kompliziert und wenn man versucht, aus anderen Programmen (wie Photoshop, Illustrator, Affinity Designer ...) gelernte Aktionen anzuwenden, wie etwa das Verschieben von Objekten in andere Ebenen, das Übertragen von Stilen oder das Anwenden von Masken, dann kann es schon passieren, dass sich diese verdoppeln oder verschwinden. Das ist hoffentlich noch Beta und das Programm wird sich später verhalten wie gewohnt.
Aber auch in diesen beiden Paletten versteckt sich eine Menge Komplexität in Untermenüs und man hat das Gefühl, es ist komplizierter als nötig wäre.
Abb: Stile-Palette und deren Untermenüs
Gleichzeitig demonstriert die Umsetzung der Ebenen-Palette ein weitverbreitete Missverständnis von Illustrator: das Kreissymbol dient mitnichten der Auswahl von Objekten - in VectorStyler wird es jedoch genau dazu genutzt. Man kann also keine einfachen Anfahrtspläne erstellen.
VectorStyler besitzt eine Menge pixelbasierte Effekte sowie Vektoreffekte, die einzelnen Flächen/Konturen oder dem gesamten Objekt zugewiesen werden können. Sie lassen sich unglaublich fein einstellen.
Abb: Einstellungen für den Aufrauen-Effekt (öffnen in neuem Fenster per Klick)
Es fehlt allerdings ein sehr wichtiger Effekt (Transformieren), was die Nützlichkeit der gesamten Effekt-Funktionalität einschränkt.
Sehr umfangreich sind allerdings die Text-Funktionen. Es gibt die üblichen Werkzeuge, diverse Sonderzeichen, Leerzeichen, Trennzeichen, die üblichen Methoden, den Satz schön zu gestalten inkl. eines Absatzsetzers. Dazu kann man auch Listen setzen.
Abb: Text-Paletten (Öffnen in neuem Fenster per Klick)
Abb: Formatieren von Zeichen
Abb: Einfügen von Satz- und Sonderzeichen
Abb: Erstellen von Listen
Abb: Absatzlinien
Abb: Satzoptionen
Einen Ansatz zum Zeichnen von Spiegelsymmetrien, der laufend aktualisiert wird, gibt es auch: er führt über Referenzobjekte. Sie müssen nicht direkt nebeneinander liegen, man kann sie beliebig positionieren.
Abb: Dieses gespiegelte Objekt verhält sich abhängig zum Original.
Als Illustrator-Anwender sieht man ein wenig neidisch auf die Möglichkeit, Objekte nach diversen Kriterien zu suchen und zu ersetzen.
Abb: Suchen und Ersetzen-Dialog (More Options)
Und wenn wir schon bei »neidisch« sind: Ausrichten von Objekten entlang eines Pfads oder das Kollisionswerkzeug (in Illustrator nachrüstbar mit dem Plugin ColliderScribe) sind nicht von schlechten Eltern.
Abb: Ausrichten an Kollisionen
Farben können in diversen Farbmodi definiert werden. VectorStyler hilft auch beim Finden von Farbharmonien (letztere Palette dürfte Illustrator-Anwendern bekannt vorkommen).
Abb: Auswahl der Farbmodi
Abb: Hilfe mit Farbharmonien
Jede Menge Verlaufsformen lassen sich Füllung oder Kontur zuweisen und man kann noch komplexere Übergänge mit einem Verlaufsgitter umsetzen. Letzteres Werkzeug war allerdings so langsam, dass kein Ergebnis zu erhalten war.
Abb: Auswahl der Verlaufsformen – die Auswahl ist beeindruckend, auch wenn man sich bei manchen fragt, wozu man sie braucht.
Es gibt eine Funktion zum Umfärben ähnlich Illustrators »Bildmaterial neu färben«, mit der man einer bestehenden Farbe eine andere zuordnen kann.
Abb: Neuzuweisen von Farben
Und es gibt Anpassungsebenen vergleichbar zu Photoshop (sogar mit einem Pfad als Maske). Um sie sollte man allerdings eher einen Bogen machen, denn sie sorgen dafür, dass Vektorgrafik bei der Ausgabe in ein PDF gerastert wird. Schade drum.
Überhaupt gibt es bei der PDF-Ausgabe noch sehr viel Raum für Verbesserungen. PDF/X: Fehlanzeige, Sonderfarben sehen auch nicht gesund aus. Eine Beschnittzugabe oder Überdrucken kann im Programm nicht eingestellt werden.
Abb: PDF-Exportoptionen
Bei den Konturoptionen erkennt man InDesign. Es gibt zwar keine Möglichkeit, komplett eigene Konturformen oder Pfeilspitzen anzulegen, aber die vorhandenen können zumindest angepasst werden.
Abb: InDesign lässt grüßen – Konturoptionen
Ich hatte mich schon gefreut, als ich per Zufall auf Aussparungsgruppen traf, sie funktionieren allerdings nur im Farbmodus RGB.
Abb: Aussparungsgruppen
Auch wieder unglaublich viele Optionen: bei den Transparenz-Füllmethoden. Vor dem Hintergrund, dass der Transparenzmodus sehr häufig per Trial and Error gewählt wird, dann ist diese Vielfalt eine Herausforderung und die Auswahlkönnte die Fertigstellung eines Projekts gefährden :-)
Abb: Die Auswahl der Füllmethoden
Ein Autotracemodul vektorisiert Pixelbilder, ist allerdings noch ein wenig buggy.
Abb: Der automatische Vektorisierer zeichnet Kacheln anstatt eines Bilds (Öffnen im neuen Fesnter per Klick)
Schade sind auch die Konstruktionsfunktionen (also das Kombinieren von Formen). Im Zeitalter von künstlicher Intelligenz muss man sich wundern, dass für den Großteil der gehypten »Illustrator-Alternativen« ein paar Standard-Boolesche-Operationen (Pathfinder) immer noch der heilige Gral zu sein scheinen. Nur wenige Hersteller machen sich die Mühe, hier innovativ zu sein (Illustrator hat in dem Bereich mit »Interaktiv malen« ein Alleinstellungsmerkmal).
Die tatsächlichen Pfadfunktionen im unteren Bereich von VectorStylers Pfade-Palette sind allerdings ziemlich nützlich. Kenner sehen die Parallelen zum Pathscribe-Panel des Plugins VectorScribe.
Abb: Boolesche Operationen finden sich inder Path-Palette, die Anleihen von InDesign und VectorScribe enthält
Vom Plugin WidthScribe desselben Herstellers stammt wohl die Inspiration für die Variable-Width-Werkzeuge. Das Icon für das Hauptwerkzeug ist allerdings original von Illustrator »geborgt«.
Abb: Bearbeiten von variablen Konturstärken
Insgesamt ist VectorStyler ein Programm mit sehr interessanten Ansätzen und einer durchdachten Funktionsauswahl. Funktionen wie Verzerrungshüllen sind sauber umgesetzt, an Stellen wie Verlaufsgittern oder dem Autotrace und an manchen Performace-Problemen beim Ziehen von Reglern bemerkt man noch den Beta-Status. Etwas mehr Möglichkeiten, zu konfigurieren (z.B. eigene Pinsel) wären sinnvoll. Das Programm benötigt sehr dringend eine/n Interface-Designer/in, denn in seiner derzeitigen Form macht es den Einstieg nicht leicht. Dazu trägt sowohl die Terminologie selbst als auch die Zusammensetzung des Programms bei mit seinen ellenlangen Menüs und Untermenüs, die einem ständig alles präsentieren, was es gibt.
Die Ausgabe von Dateien ist eine Schwachstelle. Für Print ist das Programm nicht brauchbar ohne eine PDF/X-Ausgabe oder die Möglichkeit, Beschnittzugabe und Überdrucken einzustellen. Für Web- und Screendesign-Projekte bräuchte es dringend einen Batch-Export.
Vorsicht beim Testen: VectorStyler erkennt keine deutsche Tastaturbelegung. Widerrufen ist also Cmd + Y.
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